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8. und man den Kampf trotzdem verliert

Doch dann sollte alles anders kommen:
Ich bekam Schmerzen. Starke Schmerzen - das kannte ich nicht.
Erst dachte ich an ein Problem im Darm. Oder hatte ich etwas gegessen, was ich nicht so gut vertragen hatte? Es wurde schlimmer und vor allem in regelmäßigen Abständen - alle 10 min.
Wir beobachteten das Ganze 1 Stunde und fuhren dann ins Krankenhaus.

Augenrollend wurden wir begrüßt, ja wir sind schon wieder da, diesmal nicht wegen Blutungen, sondern wegen Schmerzen. Mensch, uns machte das auch keinen Spaß, alle zwei Woche dort aufzukreuzen. Und ich hatte nun wirklich etwas besseren zu tun, als ständig auf diesen tollen Frauenarztstühlen zu hängen und mich untenrum frei zu machen.
Aber wir hatten Angst! Angst, um unser Baby. Angst, um unseren wertvollsten Schatz.
Wir wollten nicht nochmal ein Baby verlieren.
Die Ärztin untersuchte mich nicht vaginal und scheinbar nicht mal anständig den Urin.
Es gab auch keine Blutuntersuchung.
Den Ultraschall auf der Bauchdecke machte sie eher als wenn sie Kreisel spielt.
Ich war etwas krank und versuchte nicht zu husten, was gar nicht so leicht war. Sie sauste also auf meinem Bauch herum, und keifte, dass sie nichts sehen könne (das wunderte mich nicht, so
machte man auch keinen Ultraschall). Wir wurden mit der Diagnose 'Dehnung der
Mutterbänder' Heim geschickt. Dazu gab es den unfreundlichen Hinweis, dass sowas nun
mal zur Schwangerschaft dazugehöre und ich mich bitteschön nicht so anstellen solle.
Zudem gehören solch lächerliche Lappalien nicht ins Krankenhaus- ja, ähm - danke und auf Wiedersehen (oder hoffentlich auch nicht).

Nachts war es dann ein wenig besser, aber am nächsten Morgen ging es weiter.
Ich konnte vor Schmerzen nichts mehr machen und wir entschieden uns ein anderes Krankenhaus aufzusuchen. Dort durfte ich trotz der extremen Schmerzen knapp eine
Stunde warten. Da ich nicht mehr sitzen konnte vor Schmerzen wurde ich auf einer Liege in einem Waschraum zwischengeparkt (Unsere große Tochter (knapp 2) war mit im Schlepptau, was es nicht besser machte). Der Arzt schaute vaginal und machte auch einen Ultraschall von den Nieren. Ich hätte eine heftige Blasenentzündung, hieß es.

Allerdings hatte ich eigentlich gar keine Anzeichen dafür. Nur diese regelmäßigen und stetig schlimmer werdende Schmerzen.
Naja, er ist der Arzt, der müsste das ja wissen, dachte ich. Ich wurde vor die Wahl gestellt viel zu trinken oder ein Antibiotikum zu nehmen.
Natürlich wollte ich nicht, dass mein kleiner Schatz gleich Medikamente mitbekommt. Also hieß es trinken, trinken, trinken und Schmerzmittel nehmen. Anstatt besser wurden die Schmerzen immer schlimmer und unerträglicher.

Unserem Fynn ging es (noch) gut. Langsam bekam ich wirklich Angst. Diese Schmerzen konnten doch nicht mehr normal sein oder?

Mein Mann telefonierte mit dem 3. Krankenhaus. Wir hatten den Eindruck, als ob meine Schwangerschaft die erste ist, in der es akute Schmerzen gibt. Und dass sowas stets die Mutterbänder sind und somit alles harmlos. Okay , ja, ich bin schon schmerzempfindlich - aber das, dass konnte nicht mehr normal sein. Wir entschieden uns ins 3. Krankenhaus zu fahren. Zum Glück konnte unsere Tochter nun wenigstens von Oma betreut werden, sodass sie alles Folgende nicht mehr mitbekam. Die Schmerzen kamen inzwischen im 1-2 Minuten Abstand. Ich schrie und weinte bei jeder neuen Attacke.

Im Krankenhaus mussten wir dann zu meiner
Erleichterung nur 2 Minuten warten. Zum Glück hatte die Schwester erkannt, dass ich wirklich STARKE Schmerzen hatte und holte direkt den Chefarzt. Ich weiß auch nicht, wie ich mich länger hätte im Wartezimmer zusammenreißen sollen. Der Arzt machte wie seine Vorgänger einen vaginalen Ultraschall. Ich hatte so starke Schmerzen, dass ich selbst kaum in der Lage war mich auf den Stuhl zu setzen und die Beine hoch zu bekommen.

Dann kam der erste Schock.

Mein Gebärmutterhals war auf 1,5 cm verkürzt.
Mit einem Antibiotikum sollte es sich wieder regeln. Und meine Schmerzen bald besser werden.
Die Schmerzen blieben aber. Ich wollte Schmerzmittel. Ich konnte nicht mehr. Ich lag auf meinem Zimmer und hatte Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen.

Langsam Begriff ich, dass nichts mehr gut werden würde, dass nun doch alles anders kommt als wir es uns erhofft haben.

In dem Moment schalteten sich meine Gefühle aus und mein Körper übernahm.
Ich wusste, ohne es zu begreifen, dass ich grade unseren Sohn zur Welt bringe.
Die Geburt war nicht mehr aufzuhalten. Mein Körper machte die Arbeit und ich funktioniert somit. Richtig anwesend war ich zu diesen Zeitpunkt nicht mehr. Was das letztendlich bedeutete war mir in diesem Moment natürlich noch gar nicht klar. Alle Emotionen und Gefühle waren wie ausgeschaltet. Wie selbstverständlich teilte ich meinem Mann mit, dass die Fruchtblase geplatzt war - das gab der Geburt einen ordentlichen Anstoß und nach ein paar Minuten kam unser Sohn mit den Füßchen zuerst auf die Welt.

Eine Entzündung in der Gebärmutter hatte unser Kind
umgebracht - mein Baby, meinen größten Schatz auf Erden.
Da war er nun, unser Schatz, in der 19. Schwangerschaftswoche geboren und somit zum Tode
verurteilt. Mein Mann weinte, meine Mutter, die in der Zwischenzeit dazu gekommen war, weinte.

Unser Sohn war geboren!
Er war da - völlig gesund und tot!
Meine Schmerzen waren weg - Fynn´s Seele in den Himmel zu seinen Geschwistern geflogen.

Ich habe meinen Mann noch nie so weinen sehen.
Noch nie so hilflos.

Am 26.10.2015 kam Fynn auf die Welt.
Still, ohne eine Muks.
Kein Schrei - nichts.

Da lag unser Sohn nun in meinem Krankenhausbett.
Die Augen geschlossen und die Lunge viel zu unreif um schon funktionieren zu können.
Ich hätte so gern gewusst, ob er bei der Geburt noch gelebt hat, ob er danach noch geatmet hat.

Geboren, viel zu früh.
Gestorben, obwohl er kerngesund war.

Fynn: 250 g leicht / 22 cm klein / 13 cm Kopfumfang




Ich schaute meinen Sohn an.
Ich weinte nicht.
Ich hatte noch nicht begriffen, was dort grade passiert war.

In dieser Sekunde war ich nur froh diese unendlichen Schmerzen nicht mehr zu haben.
Die Schwester legte mir meinen Sohn auf die Brust und wir kuschelten einfach, als wäre es das
selbstverständlichste der Welt. Ich kann gar nicht sagen, was ich in diesem Moment
fühlte. Bei diesen Zeilen fühle ich mich zurückversetzt, ich fühle den Schmerz, ich fühle die Ohnmacht, ich fühle die Fassungslosigkeit und sehe das unendlich traurige Gesicht meines Mannes. Mir laufen die Tränen und die Frage nach dem Warum seit diesem schrecklicken Tag stets in meinem Kopf.

Nun ging es für mich erstmal ab in den OP zur Ausschabung.
Mein Körper war völlig am Ende. Ich erinnere mich, dass ich kaum den Stift zur Unterschrift für die Einwilligung halten konnte. Geschweige denn meinen Namen schreiben konnte.

Auch wenn Fynn erst 18 Wochen und 5 Tage bei uns war, konnten wir ganz deutlich erkennen, dass sein kleines Näschen von Mama ist und seine Händchen von Papa waren.
Winzig kleine Fußabdrücke bekamen wir, kaum größer, als eine Fingerkuppe von uns.
Wir berührten Fynn´s winzige Händchen und sein bildhübsches Gesicht.
Bis Mittwoch Abend durfte er noch bei uns bleiben. Wir kuschelten ganz viel mit ihm und schauten uns jedes Detail von ihm an.
Zum Glück hatten wir ein Familienzimmer, sodass auch mein Mann bei uns bleiben konnte.

so klein und so perfekt




Obwohl er still auf die Welt kam, genossen wir die Tage mit ihm und wollten ihn am liebsten nie mehr hergeben. Die Entlassung aus dem Krankenhaus viel uns so unsagbar schwer.
Wir mussten gehen und unseren Sohn zurück lassen. Wir kamen mit Baby und sollten ohne Baby gehen. Dabei der Gedanke im Kopf, dass unser Fynn gehen musste, weil die Ärzte nicht genauer nach meinen Schmerzen geschaut haben!
Er musste gehen, weil ich von 2 Krankenhäusern nicht ernst genommen wurde! Unser Schatz könnte leben, wenn ich direkt im ersten Krankenhaus Antibiotika bekommen hätte!
Dieses Wissen macht die eh schon unerträgliche Situation noch viel schlimmer und noch viel
unerträglicher. Wie soll man so weiterleben? Wären wir doch gleich in dieses Krankenhaus gefahren oder hätten wenigstens vorher auf eine Blutuntersuchung bestanden. Auch die
angebliche Blasenentzündung zweifel ich bis heute an. Ich hatte keinerlei Anzeichen, nur diese regelmäßigen Schmerzen, die mit dem Ende der Geburt komplett verschwunden waren. Ich denke eher, dass das Wehen waren. Leider hatte ich keine Vergleichsmöglichkeit, da
unsere Große nach langem Kampf mit Wehentropf und Co – eigene Wehen hatte ich nicht – per Kaiserschnitt auf die Welt kam. Und diese Wehen hatten sich komplett
anders angefühlt.


Kapitel 9: 9-der-letzte-weg/

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